Vor einigen Wochen bekam ich kleines Buch in die Hand, das aus verschieden Gründen mein Interesse geweckt hat. Das Buch heißt „Demokratie braucht Religion“ von Harmut Rosa. Zunächst einmal hat mich der Titel neugierig gemacht, weil doch die allgemeine Meinung und die der Medien speziell in Deutschland genau das Gegenteil vertreten. Interessant ist auch der Autor, der Soziologe Hartmut Rosa, der in den letzten Jahren viele interessante Gedanken zur aktuellen Situation unserer Gesellschaft in Artikeln und Büchern veröffentlicht hat. Ja, und was dann vielleicht am meisten verwundert: Das Vorwort wurde von Gregor Gysi verfasst, der alles andere als verdächtig ist, ein Fürsprecher von Religion und Kirche zu sein.
Das Buch entpuppt sich als Vortrag, den Hartmut Rosa beim Würzburger Diözesanverband Anfang 2022 gehalten hat. Darin analysiert er die aktuelle Situation unserer Gesellschaft als eine, die durch zunehmende Aggressionen gegenüber der Welt geprägt ist. Sichtbar wird dies in der Wirtschaft, in der Politik, in den Medien, in der individuellen Lebensführung und vor allem beim Umgang des Menschen mit der Natur. Ich denke, diese Beschreibung ist mehr als treffend. In „Laudato si“ formuliert Papst Franziskus dies in ähnlicher Weise: „Niemals haben wir unser gemeinsames Haus so schlecht behandelt und verletzt wie in den letzten beiden Jahrhunderten“. (LS 53). Hartmut Rosa sieht wie Papst Franziskus die Ursache in unserem Wirtschaftssystem mit seinem „permanenten Steigerungszwang, der überhaupt kein Ende hat“.
Hartmut Rosa möchte dieser Aggression etwas entgegensetzen und sieht hier eine wichtige Aufgabe von Religion und Kirche. Er verweist auf die Losung „Gib mir ein hörendes Herz“ (1. Könige 3, 7-9). Diese äußert der junge König Solomon gegenüber Gott angesichts der übermächtigen Aufgabe, die Nachfolge seines Vaters anzutreten. In einer Demokratie braucht es laut Rosa nicht nur Worte und Taten, es braucht auch Ohren und hörende Herzen. Nur wenn wir „mit dem Herzen“ anderen Menschen, alten Weisheiten und der Natur zuhören, werden wir Lösungen auf die großen Probleme unserer Zeit finden. Papst Franziskus formuliert dies wie folgt: „Eine ganzheitliche Ökologie beinhaltet auch, sich etwas Zeit zu nehmen, um den ruhigen Einklang mit der Schöpfung wiederzugewinnen, um über unseren Lebensstil und unsere Ideale nachzudenken, um den Schöpfer zu betrachten, der unter uns und in unserer Umgebung lebt und dessen Gegenwart »nicht hergestellt, sondern entdeckt, enthüllt werden« muss.“ (LS 225)
Ich denke, dass die Situation, in der sich die Menschheit angesichts der vielfältigen Krisen befindet, in gewisser Weise mit der des jungen Salomon vergleichbar ist. Die Aufgabe scheint zu groß für uns und es gibt keine Patentlösungen. Ein „hörendes Herz“ könnte vielleicht ein richtiger Ansatz sein und die grundsätzliche Kompetenz dazu wird uns als Christen sogar von Gregor Gysi bescheinigt.
In diesem Sinne wünsche ich uns als Christen, dass wir unsere Fähigkeiten wieder neu erkennen und wir uns für „unser gemeinsames Haus“ einsetzen - ich wünsche uns ein „hörendes Herz“.
Laudato si Osnabrück / Unterbrechung am Mittwoch